„Der Dolch des Mörders unter der Robe“. 60 Jahre nach dem Nürnberger Juristenurteil

9. Fachtagung, 5. bis 7. Oktober 2007

Die äußerste Ungerechtigkeit ist die,
die unter dem Schein des Rechts
begangen wird
(Platon, Politeia)

Im Dezember 1947 verurteilte ein US-amerikanisches Militärgericht Spitzenjuristen des NS-Staates – Staatssekretäre, Ministerialbeamte, Richter und Staatsanwälte – im „Nürnberger Juristenprozess“ zu hohen Haftstrafen für „die bewusste Teilnahme an einem über das ganze Land verbreiteten und von der Regierung organisierten System der Grausamkeit und Ungerechtigkeit unter Verletzung der Kriegsgesetze und der Gesetze der Menschlichkeit, begangen im Namen des Rechts unter der Autorität des Justizministeriums und mit der Hilfe der Gerichte. Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen.“ Die höchsten Ränge hatte man freilich nicht mehr belangen können. Reichsjustizminister Otto Thierak und Reichsgerichtspräsident Erwin Bumke hatten sich durch Selbstmord der Verantwortung entzogen. Der Präsident des Volkgerichtshofs Roland Freisler war in den letzten Kriegstagen bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen.

Über den historischen Rückblick auf den Prozess hinaus beschäftigt sich die Tagung mit dessen widersprüchlicher Rezeption im geteilten Nachkriegsdeutschland. Im Westen stieß das Urteil – insbesondere in der Rechtswissenschaft – unter dem Schlagwort „Siegerjustiz“ auf nahezu einhellige Ablehnung. Die Kriegsverbrecher mutierten zu „Kriegsverurteilten“. Fast alle wurden alsbald ganz oder teilweise amnestiert. In der sowjetisch besetzten Zone und späteren DDR berief man sich dagegen bei der Verfolgung von NS-Tätern stets auf die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, instrumentalisierte die Verfahren aber auch massiv zur Diskreditierung der Bundesrepublik im Systemkonkurrenzkampf. Die Tagung nimmt sowohl herausgehobene Täterpersönlichkeiten wie Franz Schlegelberger als auch unerbittliche Ankläger von NS-Verbrechen wie Robert Kempner und später Fritz Bauer oder Günther Wieland in den Blick.

Neue Bedeutung gewannen die „Nürnberger Prinzipien“ in den Rechtsbeugungsprozessen gegen DDR-Richter durch den Bezug auf die Menschenrechte – damals „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ genannt – und auf die auch im Nürnberger Juristenprozess in anderen Worten ausgedrückte Radbruch´sche Formel vom gesetzlichen Unrecht. Dabei beklagte der Bundesgerichtshof selbstkritisch seine fehlgeschlagene Auseinandersetzung mit der NS-Justiz, allerdings ohne Hinweis auf die Möglichkeiten, die das Nürnberger Juristenurteil eröffnet hatte. Deshalb  soll untersucht werden, ob den deutschen Gerichten bei Anwendung der „Nürnberger Prinzipien“ ein angemessener Umgang mit dem nationalsozialistischen Justizunrecht gelungen wäre. Schließlich wird nach der Aktualität des Nürnberger Juristenurteils für den Umgang mit justiziellem Unrecht nach Systemwechseln und seiner Bedeutung für das moderne Völkerstrafrecht gefragt.

Dr. Gerd Hankel (Hamburger Institut für Sozialforschung)
Das Nürnberger Juristen-Urteil von 1947

Dr. Klaus-Detlev Godau-Schüttke (RiLG a.D., Itzehoe)
Das Schlagwort von der „Siegerjustiz“

Dr. Michael Förster (Berlin)

Franz Schlegelberger – Jurist im Dienst des Unrechts

Dr. Annette Weinke (Universität Stuttgart – Forschungsstelle Ludwigsburg)
Umgang der DDR mit NS-Juristen

Dr. Helmut Kramer (Ri OLG a.D., Wolfenbüttel)
Die „Verfolger“ von justiziellen NS-Verbrechen im geteilten Deutschland – Verdienste und Widerstände

Hans-Ernst Böttcher (Präsident des LG Lübeck)
Rechtsbeugungsverfahren gegen DDR-Richter nach 1990 – späte Renaissance einiger Gedanken Gustav Radbruchs aus der unmittelbaren Nachkriegszeit

Prof. Dr. Dr. Ingo Müller (Bremen)
Vertane Chance? – Wäre das justizielle NS-Unrecht auf der Grundlage des Nürnberger Juristenurteils besser aufgearbeitet worden?

Dr. Bernd Wagner (Rechtsanwalt (RAV), Hamburg)
Regierungsjuristen als Wegbereiter der Verhörsfolter – Völkerstrafrechtliche Aspekte aus der Rumsfeldanzeige

Gespräch mit Zeitzeugem – Stephan Alexander Glienke befragt Reinhard Strecker, Ausstellungsveranstalter „Ungesühnte Nazijustiz“ aus dem Jahr 1959

Frédérique Dantonel (Doktorandin an der Freien Universität Berlin)
„Aussagen über ein Attentat“ – Der Volksgerichtshofprozess gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 im DDRFernsehen – Vortrag mit Videoausschnitten

Podiumsdiskussion:
Der Umgang mit justiziellem Unrecht nach Systemwechseln – Renaissance der Nürnberger Prinzipien im modernen Völkerstrafrecht?
Dr. Uwe Ewald (Internationales Tribunal für das frühere Jugoslawien (ICTY), Den Haag), Dr. Gerd Hankel (Hamburger Institut für Sozialforschung), Prof. em. Dr. Joachim Perels (Universität Hannover), Prof. Dr. Hubert Rottleuthner (Freie Universität Berlin)
Moderator: Klaus Eschen (Rechtsanwalt, RiVerfGH Berlin a.D.)